Erinnern

Niemals zuvor habe ich ein so stilles Gedenken zum 9. November erlebt wie an diesem Tag. Es ist das Jahr 2020 und unser aller Leben hat sich verändert durch einen unsichtbaren Feind namens COVID 19. Auch das jüdische Gemeindeleben bleibt davon nicht verschont und so wurde diese alljährliche Gedenkveranstaltung aufgrund der Pandemie in einem sehr kleinen Rahmen abgehalten. Rabbiner Aharon Vernikovsky und die Mitglieder des Vorstandes der jüdischen Gemeinde Mainz, sowie Oberbürgermeister Ebling trafen sich zu einer kurzen Gedenkveranstaltung der Reichspogromnacht 1938, welche auch hier in Mainz zu Unterdrückung, Zerstörung und letzten Endes zur Auslöschung jüdischen Lebens führte. 

Es war eine kleine Gruppe, die sich auf dem Synagogenvorplatz vor den letzten verbliebenen Säulen der, in dieser Nacht zerstörten, Synagoge trafen. 

Rabbiner Vernikovsky las das Gebet zum Gedenken der Opfer der Shoa auf Deutsch und im Anschluss entzündeten die anwesenden Mitglieder der Gemeinde mit Herrn Ebling sechs Kerzen, zum Gedenken an die sechs Millionen systemischen Morde durch die Nationalsozialisten.

Es erklang kein El Male Rachamim, so wie wir es gewohnt sind an diesem Tag. Wir sahen keinen Jugendlichen unserer Gemeinde, die mit Texten an die jüdischen Menschen dieser Stadt erinnerten. Es ertönte kein Lied. Es war auch nicht wirklich feierlich. Es war nur traurig und einsam. Mir wurde heute noch mehr bewusst, dass diese Menschen immer mehr in Vergessenheit geraten und ihre Geschichte immer mehr in die Stille übergeht, die ich heute erlebt habe. Lassen wir es nicht so weit kommen, dass wir sie nur als Opfer sehen, die still ins Nichts übergehen. Lassen wir sie vor unseren Augen erscheinen, als stolze, würdevolle Menschen, die ein Gesicht, einen Namen und Ansehen hatten. Sie waren weltoffen und frei. Sie waren integrierte selbstbewusste deutsche Bürger, die ihren festen Platz in der Gesellschaft dieses Landes hatten. 

Dass ihnen die Existenz und das Leben genommen wurde, das sollte sie niemals auf Opfer reduzieren. Sehen wir nicht bedrückt zu Boden, sondern erheben wir unser Haupt als ihre nachfolgenden Generationen und lassen uns ihrer im nächsten Jahr in großer Zahl mit Bedacht und Würde, aber auch mit Stolz und Selbstbewusstsein gedenken, auf dass sie niemals vergessen werden. 

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